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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 28.02.2013


Cécile Verny Quartet - Fear & Faith
Julia Lorenz

Spielfreude trifft Tiefgründigkeit - der Beginn einer wunderbaren Liaison? Jedenfalls der Auftakt einer neuen Ära für das Freiburger Kollektiv, das die Ethno-Einflüsse vergangener Tage vorläufig...




...aus dem Programm streicht. Und dafür umso energischer auf Telefonbüchern trommelt.


"In einer Welt, in der sehr viel oberflächlich ist und alle nur ´chillen´ wollen und auf ´Cool´ machen - ich glaube, ich bin gar nicht cool! Oberflächlichkeit mag ich nicht, in meiner Arbeit erst recht nicht", erklärte Cécile Verny jüngst dem Deutschlandfunk. Nanu - ein Bekenntnis zur Anti-Hipness, und das ausgerechnet im chronisch trendfixierten Musikbetrieb? Kein Problem für die 44-jährige Künstlerin: Ausverkaufte Konzertsäle in Freiburg, Lorbeeren für die aktuelle LP "Fear & Faith", die von Seiten ihrer Plattenfirma bereits als "Meilenstein in der Geschichte des Ensembles" gefeiert wird, und ein seit Ende der 1980er Jahre stetig gewachsener Status als KritikerInnen- und Publikumsliebling sprechen für ihr Konzept.

Bei aller Liebe zur musikalischen Qualitätsarbeit entstanden die zwölf neuen Songs der in Frankreich aufgewachsenen Sängerin und ihres Ensembles in bester Jam-Tradition - und zwar in diversen Hotelzimmern. Bassist Bernd Heitzler, Pianist Andreas Erchinger, Schlagzeuger Lars Binder und Sängerin Cécile Verny machten aus ihrer ständigen Zeitnot auf Tour eine Tugend und nutzten die Pausen und freien Tage, um sich zum gemeinsamen Improvisieren zu verabreden. Dabei kam nicht nur ein Telefonbuch zum Einsatz, das seinen Dienst als Trommelersatz tat, sondern auch die vereinte kreative Energie aller MusikerInnen: "Jeder steuerte einen Lick oder eine Phrase, eine Melodie, manchmal auch einen Rhythmus bei, dabei lief immer ein Aufnahmegerät. Später haben wir das Material gemeinsam gesichtet. Einiges flog raus, anderes gefiel uns, also haben wir es weiterbearbeitet", erzählt Cécile.

Produziert wurde das Gemeinschaftswerk von Trompeter Nils Wülker, mit dem die KünstlerInnen beim Hamburger Elbjazz-Festival Bekanntschaft machten. Eine von vielen Neuerungen im Hause Verny: "Fear & Faith" schlägt eine andere Richtung ein als die Vorgängerplatten. "Kill your Darling" habe die Losung bei der Aufnahme gelautet, verriet Bernd Heitzler der Badischen Zeitung. Das bedeutet vor allem eine Abkehr von den afrikanischen Einflüssen und Latin-Spielereien, denen das Quartett auf seinen bisherigen Veröffentlichungen noch ausgiebig gehuldigt hatte.

Der Platte mangelnde Experimentierfreude zu unterstellen, würde ihr dennoch Unrecht tun: Verny und ihr Ensemble spielen sich entspannt und elegant zugleich durch ein Album, das zwar weich und stimmig, aber nie belanglos daherkommt. Der Opener "The Wild Heart Of The Earth" und der Folgetrack "No ID" folgen dem neuen musikalischen Konzept der Band auf Samtpfoten: Mehr Mut zu Grooves, Riffs und Homogenität. Besonders intensiv präsentieren sich die Titel "...Car Désespérée" und "Seule, Toute Seule", die Verny in ihrer Muttersprache Französisch interpretiert. Mit "How Do I Love Thee?" wagt das Quartett eine ungewöhnliche Kollaboration: Der Song ist die Vertonung eines Gedichts der 1861 gestorbenen Dichterin Elizabeth Barrett Browning.

Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Werks liegt es nahe, dass das neue Album des Cécile Verny Quartets ursprünglich auf den Namen "The Hotelroom-Sessions" hören sollte. Warum die Entscheidung schließlich doch zugunsten des Titels "Fear & Faith" fiel, erklärt die Sängerin - und gewährt dabei einen Einblick in ihre momentane Gedankenwelt: "Wir alle werden älter, meine Kinder werden größer, Freunde trennen sich, Bekannte sterben. Auch davon handeln viele Texte, denn ich kann nicht in dieser Welt leben, ohne darüber zu reflektieren. Angst und Glaube gehören einfach dazu."
Die Oberflächlichkeit des Unterhaltungsbetriebs scheint auch nach über zwanzig Jahren im Geschäft tatsächlich an Cécile Vernys Schaffen vorbeizugehen - wenn das mal nicht cool ist.

AVIVA-Tipp: Das Jazzquartett um die Sängerin mit afrikanischen Wurzeln will sich auch nach mehr als zehn LPs und zwei Jahrzenten Bühnenerfahrung nicht selbstgefällig auf den eigenen Erfolgen ausruhen. "Wir sind eine Band, die sich ständig weiterentwickeln möchte", lässt Verny verlauten. Einen radikalen Stilbruch haben LiebhaberInnen des Kollektivs nicht zu erwarten - wohl aber eine groovende, verspielte und dennoch unaufgeregte Platte, der die Spontanität der Aufnahmesessions anzuhören ist.

Zur Künstlerin: Cécile Verny wurde 1969 in Abidjan an der Elfenbeinküste geboren. Mit zwölf Jahren siedelte sie mit ihren Eltern nach Frankreich um, sechs Jahre später erfolgte die musikalische Initialzündung: Bei einem Besuch in einem Jazzclub in Straßburg nahm die damalige Wirtschaftsstudentin an einem Vorsingen teil und beschloss daraufhin, Musikerin zu werden. 1989 zog sie nach Freiburg im Breisgau und gründete im selben Jahr ihr eigenes Jazzquartett. 1997 und 1999 kamen ihre Kinder zur Welt, mit denen sie noch heute in der Baden-Württembergischen Stadt lebt. Verny und ihr Ensemble wurden bereits mehrfach ausgezeichnet und erhielten unter anderem im Jahre 2006 den Preis der deutschen Schallplattenkritik für das Album "The Bitter and The Sweet".
Weitere Infos unter: www.cvq.de

Cécile Verny Quartet - Fear & Faith
Label: Jazzhaus Records
VÖ: 22. Februar 2013

www.jazzhausrecords.com

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